Weitere Büchre von Hilde Langthaler:
Wer in aller Welt weiß
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Hilde Langthaler p-attakteKurzgeschichten2010, 103 Seiten, franz. Broschur, 14,90 € (A), 14,50 € (D) ISBN 978-3-902300-47-8 |
Buchinfo · zur Person · Rezensionen · Leseprobe
Sprachlich minimalistischen, satirisch-ironischen Erzählgeflechten folgen in Hilde Langthalers neuem Buch gleich einem Stakkato sprachlich minimalistische, zutiefst berührende.
Ihre Sprache: noch überraschender, noch kurzweiliger und noch bewegender.
Hilde Langthaler ist es gelungen, in wahrlich komprimierter Form Szenarien des Lebens solcherart zu beschreiben, dass sie den Raum des Lesers/der Leserin gänzlich auszufüllen vermögen, sodass man das Buch, wenn man einmal zu lesen begonnen hat, wohl kaum mehr aus der Hand legt.
Wenn man glaubt erahnen zu können, wohin eine Geschichte gehen wird, belehrt einen ein Satz, eine Satzfrequenz augenblicklich eines Besseren.
zu hause würden sie jetzt wohl die köpfe schütteln. na und ob! heut aber jedenfalls kein anlass rot zu werden! ist sie doch eben erst aus ihrer angestammten haut gefahren, um wesenlos in lichte höhen der musik – derlei geht sie doch längst schon nichts mehr an. nicht sie, nur ihre abgestreifte haut.
Hilde Langthaler, geboren in Graz, lebt als Autorin in Wien.
Ihr erstes Theaterstück Nur keine Tochter wurde 1982 im damaligen Wiener AV-Theater in der Annagasse uraufgeführt (B. Guttenbrunner), später vom Deutschen Staatstheater Temeswar (M. Tiron Emandi) auch in mehreren Ländern gespielt. Im ORF war der Spielfilm Mit beiden Beinen fest in den Wolken (S. Zanke) zu sehen. Das zweite Stück Golem Now (J. Rausch) wurde im Wiener Ensembletheater am Petersplatz sowie in mehreren Bundesländern und als Performance im Sommer 2007 auf der Festung Hohensalzburg (G. Steinkogler-Wurzinger) gezeigt. Neben den Bühnenstücken (die auch in Buchform und als Übersetztung vorliegen), schrieb sie Prosa und Kurzgeschichten, die in (Literatur-)Zeitungen, im ORF und in Anthologien veröffentlicht wurden (u. a. in A. C. Schaub (Hrsg.): FrauenSchreiben, Maria Enzersdorf 2004).
Letzte Veröffentlichungen: gras dein gesicht (Bilder: R. Alfery), Wien 1998; Ungeschichten. Sechs Episoden, Wien 2001; Zeitenrisse (Mit: Bodo Hell und Michael Guttenbrunner), Weißenkirchen 2006; wer in aller welt weiß. ungereimtheiten. skizzen und notizen, Mödling/Maria Enzersdorf 2008.
Brillante Miniaturen - Hilde Langthalers letzte Publikation "wer in aller welt weiß" fokussierte Alltagsbegebenheiten, wie mit einem Blitzlicht beleuchtete Augenblicke, die Mißhelligkeiten des Lebens sichtbar machen, schmerzhaft und komisch zugleich. Ihr neues Buch versammelt unterschiedliche Prosa. Einige Geschichten knüpfen an den ironischen Stil der "ungereimtheiten" an – so der Untertitel des oben angeführten Werks. Etwa "traumurlaub", die Urlaubsliebe der Touristin zum einheimischen Beachboy zwischen Palmen und unsichtbarem Elend des Dritteweltlandes. Oder "oper", in der eine aus ihrer Alltagshaut Gefahrene sich in einer teuren Opernloge findet und plötzlich erlebt, was es heißt, eine andere zu sein.
Auch die Titelgeschichte ist im Alltagsmilieu angesiedelt, jedoch schlägt hier die Autorin einen neuen Ton an. Sie beschreibt ihre Protagonistin vom Beginn des Tages an, vor dem sie sich schon beim Erwachen zu fürchten beginnt. Die grauen Linien des Lichts erschrecken sie und stimmen den Leser auf eine ausweglose Situation ein. Wenn der Tag nur schon vorüber wäre. Vom Aufstehen an. Vor den Menschenmassen. Vor dem Einzelnen. Der Hörsaal, die Stimme des Vortragenden. Mitschreiben, zum Verstehen reicht die Zeit nicht aus. Angst. Selbst der eine, der ihr den Weg zwischen den anderen bahnt, der anders ist, sein Kopf besonders geformt. Auch vor ihm möchte sie sich verstecken. Sie geht die Verabredung mit ihm ein, sie wagt kein Nein. Die Panik schließt alles ein, selbst eine Begegnung, die glücklich machen könnte.
In der Mitte des Buches steht der Text "crescendo", wie ein Loch, in das man beim Lesen unvermutet hineinstürzt. Ist es ein Traum? Oder die Beschreibung einer Analyse, einer Familientherapie? In knappen Bildern, harten Schnitten erzählt die Autorin einen Film, der während einer U-Bahnfahrt beginnt und tief in ihre Vergangenheit führt. die Das Bild des Großvaters, das näherkommt, aber unerreichbar bleibt, erzeugt eine suggestive Wirkung, auch für den Lesenden.
"non per scholam" zeigt eine andere Facette ihrer schriftstellerischen Arbeit. Hilde Langthaler ist auch Dramatikerin und hat eine Reihe erfolgreich aufgeführter Stücke in ihrer Vita. Der Dialog führt an den Kriegsschauplatz Schule. So heiter, spöttisch und psychologisch gescheit, dass man gar keine Bühne braucht, um diese Inszenierung lebendig werden zu lassen. Im letzten Text erzählt die Autorin ein Stückchen ihrer eigenen Familiengeschichte: "schinkenfleckerln" ist eine liebenswürdige Hommage an die kleine böhmische Großmutter. Auch das handgeschriebene Rezept fehlt nicht und das Buch schließt mit Fritz Spielmanns bekanntem Chanson aus der Zwischenkriegszeit, das im Radio gesendet wird und so die Erinnerung Langthalers wachruft:
"Warum spielt bei den Schinkenfleckerln/ alleweil das Fleisch Versteckerln? /Oder bin ich blind,/ daß ich nie den Schinken find'?"
Man werde das Buch nicht aus der Hand legen können, verspricht der Covertext. Im Gegenteil, jede dieser Miniaturen soll man für sich stehen und einzeln auf sich wirken lassen.
Susanne Ayoub (Literarisches Österreich, , November 2010)
"zu hause würden sie jetzt wohl
die köpfe schütteln.
na und ob!
heut aber jedenfalls
kein anlass rot zu werden!
ist sie doch eben erst aus ihrer
angestammten haut gefahren,
um wesenlos
in lichte höhen der musik –
derlei geht sie doch längst
schon nichts mehr an.
nicht sie,
nur ihre abgestreifte haut."